top of page

Der Luftkrieg in der Grafschaft Bentheim

Da die Grafschaft Bentheim in der direkten Einflugschneise der britischen und amerikanischen Bomberverbände lag, kam es in der Region zu besonders vielen Luftkämpfen und Flugzeugabstürzen.

Lancaster (DX-X, 57. Squadron) im Bathorner Moor, Zweiter Weltkrieg. Der Luftkrieg in der Grafschaft Bentheim. Foto: Privatbesitz Hermann Kronemeyer. Schüsse in der Stille
Abgestürzter britischer Lancaster-Bomber im Bathorner Moor.

Lancaster im Bathorner Moor


Am 14. Mai 1943 stürzte wenige Kilometer vom Hof der Familie Kronemeyer entfernt eine britische Lancaster-Maschine mit dem Kennzeichen DX-X der 57. Squadron ab. Sie war am Abend zuvor in Scampton gestartet und hatte die Škoda-Werke im tschechischen Pilsen angegriffen. Auf dem Rückflug wurde sie von einem deutschen Nachtjäger, einer Messerschmitt Bf 110, abgeschossen, woraufhin der Bomber ins Moor stürzte. Nur ein Besatzungsmitglied überlebte den Absturz.



Vickers Wellington in Hoogstede


Ganz hinten über dem Moor erkannte ich einen schwachen, gelborangen Lichtschein am Nachthimmel, der immer heller wurde und sich auf uns zubewegte: Es war ein englischer Bomber, der abgeschossen worden war. Der hintere Teil der Maschine sah aus wie eine Kerze, die eine Flamme hinter sich herzog. »Der fliegt direkt auf uns zu«, rief ich alarmiert. »Der kommt hier bei uns runter!«

aus: Keute 2022: 71 f.


Bei dem Flugzeug, das am 3. Juli 1942 vor der Hoogsteder Bäckerei abstürzte, handelte es sich um einen britischen RAF-Bomber des Typs Vickers Wellington mit dem Kennzeichen UV-H, der der 460. Squadron angehörte. Er war mit 324 weiteren Maschinen am späten Abend des 2. Juli in Brighton gestartet und hatte Bremen bombardiert. Insgesamt 13 Flugzeuge wurden bei diesem Angriff abgeschossen, darunter die Maschine UV-H. Nur drei Mitglieder der sechsköpfigen australischen Besatzung überlebten den Absturz.



Explosion eines amerikanischen Bombers


Da erkannte ich, dass er abgeschossen worden war und immer tiefer stürzte. Plötzlich explodierte das gesamte Flugzeug. Es sah aus, als hätte jemand einen riesigen Korb mit Papierschnipseln in der Luft ausgeschüttet.

aus: Keute 2022: 85


Bei der Flugzeugexplosion, die mein Urgroßvater beobachtete, könnte es sich meinen Nachforschungen zufolge um einen amerikanischen Bomber des Typs B-17 mit dem Namen Blitzing Betsy gehandelt haben. Der Bomber nahm am ersten amerikanischen Tagangriff auf Berlin am 6. März 1944 teil und wurde auf dem Rückflug kurz vor der deutsch-niederländischen Grenze von Jagdflugzeugen des Typs Fw 190 unter Beschuss genommen. Dabei wurden die Triebwerke und der Sauerstofftank von Brandgranaten getroffen, der Bomber ging in Flammen auf und kollidierte mit einem anderen Flugzeug aus der Formation. Vier der zehn Besatzungsmitglieder schafften es, aus dem brennenden Flugzeug hinauszuspringen, bevor der Bomber explodierte. Der Umstand, dass einer von ihnen den Absprung nicht überlebte, weil sich sein Fallschirm nicht öffnete, deckt sich mit den Erzählungen meines Urgroßvaters. Das Wrack stürzte kurz hinter der niederländischen Grenze im Moor Bargerveen ab, wo sich heute eine Gedenktafel befindet. An diesem Tag wurden in der Gegend sieben amerikanische Bomber und drei deutsche Jagdflugzeuge abgeschossen.



Operation Razzle


Es waren flache, harte Plättchen, die wenige Zentimeter breit waren und aussahen wie ein Heftpflaster mit einem Polster in der Mitte, auf dem sich Phosphor befand. Die Piloten versuchten, diese Plättchen auf die Getreidemieten abzuwerfen, sodass sich der Phosphor unter Sonneneinstrahlung entzündete und das Korn in Brand steckte.

aus: Keute 2022: 52


Ab September 1939 bis mindestens 1941 warfen britische Flugzeuge über der Grafschaft Bentheim und weiteren ländlichen Gebieten Brandplättchen ab, um insbesondere die Getreideernte zu zerstören. In diesem Archiv ist ein Foto eines solchen Brandplättchens zu sehen. Mein Urgroßvater kann sich nicht daran erinnern, dass die Abwürfe in der näheren Umgebung erfolgreich gewesen wären, in einigen Quellen wird jedoch von durch Brandplättchen ausgelösten Bränden in Alexisdorf und Wilsum berichtet.



»Window« zur Radartäuschung


Die schmalen, silbernen Streifen lagen bei uns im Garten, auf den Straßen und Wiesen; überall flatterten sie herum, als hätte ein Windstoß sie in der Gegend verteilt.

aus: Keute 2022: 85


Um ihre Entwicklung für sich zu behalten, zögerten die Alliierten lange mit dem Einsatz der 27 × 1 Zentimeter langen Papierstreifen, die mit einer Aluminiumschicht ausgestattet waren und die gegnerische Radaraufklärung stören konnten. Diese wurden »Window« genannt und erstmals im Juli 1943 während der Operation Gomorrha, der Bombardierung Hamburgs, eingesetzt. Auch die deutsche Seite hatte seit 1941 mit der Entwicklung von Stanniolstreifen als Radartäuschung experimentiert, diese jedoch ebenfalls aus Gründen der Geheimhaltung noch nicht eingesetzt. Unter diesem Link sind einige Bilder der Aluminiumstreifen zu finden.



Weihnachtsbäume


Weihnachtsbäume stehen gewöhnlich für eine friedliche und besinnliche Zeit, nicht jedoch im Zweiten Weltkrieg, als sie Angst und Schrecken verbreiteten. Die Leuchtkugeln, die zusammen das Bild eines auf dem Kopf stehenden Weihnachtsbaumes ergaben, warfen Flugzeuge der britischen »Pathfinder Force« ab, die auf diese Weise Angriffsziele für die nachfolgenden Bomber markierten. Hier ist ein Bild eines solchen Weihnachtsbaumes zu sehen. Die Begriffe »Tannenbäume« und »Christbäume« wurden synonym für diese Art der Zielmarkierung verwendet.


 

Mehr über den Luftkrieg in der Grafschaft Bentheim sowie Bilder und Textstellen aus Ortschroniken sind auf dieser Internetseite zu finden.



Quellen:


Althaus, Johann (2018): Die vermutlich leichteste Geheimwaffe aller Zeiten, in: Welt, 23.07.2018, [online] https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article179720838/Angriff-auf-Hamburg-Die-vermutlich-leichteste-Geheimwaffe-aller-Zeiten.html [letzter Aufruf: 27.02.2022].


Drenthe in de oorlog (0. J.): Zuidoost Drenthe decor luchtslag 6 maart 1944, [online] http://www.drentheindeoorlog.nl/?aid=921 [letzter Aufruf 27.02.2022].


Heimatverein Hoogstede e. V. (Hrsg.) (2009): In der Gildschaft Scheerhorn.

Hoogstede. Chronik eines Dorfes und seiner Ortsteile. Arkel, Bathorn, Berge,

Hoogstede, Kalle, Scheerhorn und Tinholt. Hoogstede: Heimatverein Hoogstede e. V.


Keute, Celina (2022): Schüsse in der Stille. Hermann Kronemeyers Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg. Hamburg: Tredition.


Lensing, Helmut (o. J.): Der Luftkrieg über der Grafschaft Bentheim,

[online] https://www.grafschafter-geschichte.de/luftkrieg [letzter Aufruf: 27.02.2022].


o. V. (o. J.): Blitzing Betsy, [online] http://www.rafmonument.nl/english/the-stories/american-aicrafts/blitzing-betsy/ [letzter Aufruf 27.02.2022].


Persönliche Interviews mit Hermann Kronemeyer (2015–2021).

bottom of page